Moment Mal -Orientierungsmarken

Wenn Papst Benedikt in ein paar Wochen nach Deutschland kommt, erwarten viele â€" Christen und Nichtchristen â€" von ihm, dass er das Evangelium erklärt. Denn das ist die wichtigste Aufgabe der Kirche. Und ist es nicht eine wirklich wundersame Vorstellung, zweitausend Jahre alte Glaubenserfahrungen könnten uns Heutigen in einer völlig veränderten Welt Orientierung darüber geben, wie wir leben sollen. Wer sich mit offenen Augen umschaut, mag denken, in unseren Tagen bliebe kein Stein mehr auf dem anderen. Politische Revolutionen im arabischen Raum, technische Revolutionen und politische â€" von der Euro-Krise bis zur Energiewende. Der Wandel ist das einzig Sichere. Wer weiß da noch, welche unserer Ãœberzeugungen Bestand haben und welche morgen schon verworfen sindÄ Als Christ, der sich um seinen Glauben bemüht, bin ich allerdings überzeugt davon, im Evangelium weiterhin wichtige Orientierungsmarken zu finden. Allerdings müssen sie übersetzt und erklärt werden.

Der Papst als Pontifex â€" als Brückenbauer â€" dieses Bild gefällt mir. Von der Kirche insgesamt und ihren Repräsentanten wünsche ich mir, dass sie die verbreitete Verunsicherung, auch in Politik und Parteien, teilen. Wo nach den besten Lösungen für komplizierte Probleme gesucht wird, braucht es keine Leitlinien nach dem Motto: „Da geht’s lang.“ Es braucht keine vorwurfsvolle Kirche, die in unserer Zeit nur mehr das Abschüssige, den Werteverlust, die Glaubenskrise sehen will. Gefragt sind vielmehr geduldiges Hinhören auf die Nöte der Menschen und die Beteiligung an all den langwierigen Diskussionen, die nun einmal glücklicherweise zur Demokratie gehören. Um ein Beispiel zu nennen: An der Ethik-Kommission zur Kernenergie waren Bischöfe und christliche Laien maßgeblich beteiligt. So wünsche ich mir die Kirche der Zukunft: engagiert in der Welt, sachkundig in den Details und beseelt vom Evangelium.

Erschienen in der Lingener Tagespost/Meppener Tagespost/Ems-Zeitung am 6. August 2010

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